Die Europäische Union hat ein gewaltiges Rüstungspaket in Höhe von 800 Milliarden Euro beschlossen. Zeitgleich hat der Deutsche Bundestag die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben aufgehoben – faktisch eine unbegrenzte Freigabe von Mitteln für militärische Zwecke. Offiziell ist diese Aufrüstung gegen Russland gerichtet, doch ein genauerer Blick auf die geopolitische Lage zeigt, dass diese Argumentation fragwürdig und der eingeschlagene Weg gefährlich ist.
Das Russland-Narrativ: Realität oder Konstruktion?
Viele politische Akteure in Europa betrachten Russland als Bedrohung. Die Realität sieht jedoch anders aus. Selbst US-Geheimdienste haben noch im letzten Jahr in einem gemeinsamen Bericht betont, dass Russland weder die Kapazität noch das strategische Interesse habe, die NATO oder einzelne EU-Staaten anzugreifen. Russland verfügt weder über eine vergleichbare Wirtschaftskraft noch über eine Armee, die es mit der vereinten militärischen Stärke Europas aufnehmen könnte. Zudem gibt es für Russland nichts zu gewinnen: Es mangelt weder an Land noch an Rohstoffen.
Trotzdem treibt Europa seine Aufrüstung voran. Gleichzeitig setzt die EU weiterhin auf Waffenlieferungen an die Ukraine und erwägt sogar den direkten Einsatz eigener Truppen – obwohl sich in den USA mit Donald Trump ein Vermittler abzeichnet, der aktiv an einer Beendigung des Krieges arbeitet. Warum also dieses Festhalten am Konflikt?
Geopolitische Interessen: Wer profitiert von der Eskalation?
Es gibt mehrere Gruppen, die von dieser Lage profitieren, unter anderem:
- Die Ideologen – Politiker und Entscheidungsträger, die ihrer eigenen Propaganda erlegen sind und fest daran glauben, dass Russland eine reale Bedrohung darstellt.
- Die Profiteure – Unternehmen der Rüstungsindustrie und politische Akteure, die finanzielle und machtpolitische Vorteile aus der Eskalation ziehen.
- Die Strategen – Kräfte, die den Konflikt als Mittel zur Wahrung des europäischen Zusammenhalts nutzen.
Gerade der letzte Punkt ist entscheidend. Vor der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg befand sich die EU in einer Phase des Zerfalls. Der Brexit hatte gezeigt, dass ein Austritt aus der EU realistisch ist. In Südeuropa gab es massive Unzufriedenheit wegen der Austeritätspolitik, und auch osteuropäische Staaten wie Polen erwogen eine stärkere Distanz zur Union.
Krisen haben diesen Zerfall vorerst gestoppt. Erst durch die Pandemie, dann durch den Ukraine-Krieg entstand ein Gefühl der äußeren Bedrohung, das die EU-Staaten wieder enger zusammenschweißte. Doch wenn der Krieg endet, könnte dieses Band reißen – und dann stehen Europa nicht nur wirtschaftliche, sondern auch sicherheitspolitische Turbulenzen bevor.
Wenn man die Folgen dieser massiven Aufrüstung betrachtet, muss man sich zwei mögliche Szenarien vor Augen führen. Das erste: Die Rüstungsspirale treibt Russland in eine Lage, in der es sich existenziell bedroht fühlt. Wenn Europa immer weiter aufrüstet, sich neue Militärbündnisse formieren und immer aggressivere Rhetorik gegen Russland geschürt wird, könnte Moskau sich gezwungen sehen, selbst massiv aufzurüsten und strategische Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Eine solche Dynamik, in der jede Seite die andere als Bedrohung wahrnimmt und sich entsprechend vorbereitet, könnte sich zu einer selbst erfüllenden Prophezeiung entwickeln – und letztlich den offenen Konflikt heraufbeschwören, den die westlichen Staaten angeblich verhindern wollen. Was als angebliche Abschreckungspolitik begonnen hat, könnte genau das herbeiführen, wovor man warnt: einen offenen Krieg zwischen Russland und Europa.
Das andere Szenario ist jedoch auch brandgefährlich: Die EU bricht unter der Last wirtschaftlicher Krisen und interner Spannungen auseinander, was zu einem zerstrittenen Europa voller hochgerüsteter Nationalstaaten führt, die sich gegenseitig bedrohen und schließlich in einen militärischen Konflikt geraten. Ja, das klingt heute absurd, geradezu unvorstellbar. Aber wer konnte sich die Flüchtlingskrise vor 2015 vorstellen? Wer hätte geahnt, dass mit Corona die Grundrechte massiv eingeschränkt würden? Und wer hätte vor etwas mehr als drei Jahren gedacht, dass die USA und Russland in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg führen würden?
Vom äußeren Feind zum inneren Konflikt?
Mit der massiven Aufrüstung und den immensen finanziellen Belastungen wächst das Potenzial für neue Spannungen innerhalb Europas. Die hohen Militärausgaben und die Verpflichtung, die Ukraine wiederaufzubauen, könnten zu wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung führen. Die Folge wäre ein schrittweiser Zerfall der EU in ihrer bisherigen Form.
Heute erscheint ein direkter Konflikt zwischen EU-Staaten unvorstellbar. Doch wenn man die Entwicklungen nüchtern betrachtet, ist die Wahrscheinlichkeit nicht so gering, dass in den kommenden Jahrzehnten alte Grenzfragen und historische Konflikte wieder auf den Tisch kommen.
Droht ein bewaffneter Konflikt in Europa?
Die Militarisierung Europas in Verbindung mit wachsenden politischen Spannungen könnte langfristig zu einer gefährlichen Eskalation führen. Wenn die EU auseinanderbricht – sei es durch den Austritt einzelner Staaten oder durch eine faktische Auflösung der politischen Integration – entsteht ein Europa aus hochgerüsteten, zerstrittenen Nationalstaaten. In einem solchen Szenario könnten alte Konflikte, die bislang politisch oder diplomatisch entschärft wurden, plötzlich wieder brandgefährlich werden.
Ein Beispiel ist das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen. Die polnische Regierung hat immer wieder Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg erhoben. Solange es eine starke EU gibt, bleiben diese Forderungen politisches Geplänkel – doch was geschieht, wenn sich die EU als stabilisierende Kraft auflöst? Eine künftige polnische Regierung könnte, sei es aus innenpolitischem Kalkül oder echtem Nationalismus, auf einer Durchsetzung dieser Forderungen bestehen. Genauso könnte eine deutsche Regierung, getrieben von nationalistischen Strömungen, mit Gegennarrativen reagieren, etwa mit der Forderung nach Rückgabe ehemaliger deutscher Gebiete in Polen.
Was heute absurd klingt, könnte in einem Europa voller wirtschaftlicher Krisen, wachsender Nationalismen und hochgerüsteter Armeen schnell zur Realität werden. Erste Grenzstreitigkeiten könnten mit wirtschaftlichen Sanktionen beginnen, dann in politische Eskalationen münden – und schließlich könnte ein Funke reichen, um militärische Konfrontationen auszulösen. Ein militärischer Konflikt zwischen europäischen Staaten, den heute viele für unmöglich halten, wäre dann nicht mehr ausgeschlossen, sondern eine durchaus realistische Gefahr.
Ein gefährlicher Weg
Die aktuelle Aufrüstung der EU könnte also nicht nur den Ukraine-Krieg verlängern oder einen Krieg mit Russland erst wahrscheinlich machen, sondern auch langfristig neue inner-europäische Spannungen schüren. Anstatt sich auf Diplomatie und wirtschaftliche Kooperation zu konzentrieren, setzt Europa auf eine Militarisierung, die – wenn der äußere Feind wegfällt – zwangsläufig nach innen wirken wird. Die Geschichte lehrt, dass in solchen Situationen neue Konflikte oft nicht lange auf sich warten lassen.
Die entscheidende Frage ist also nicht, ob Europa sich vor Russland schützen muss, sondern ob es nicht vielmehr einen Kurs eingeschlagen hat, der langfristig seine eigene Sicherheit und Stabilität gefährdet.
Dieser Artikel erschien erstmals am 22.03.2025. Das Beitragsbild ist von Hans auf Pixabay.
Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de