In hitzigen Debatten und politischen Diskussionen ist er ein häufig gehörter Einwurf: der Vorwurf des „Whataboutism“. Er wird gerne dann ins Feld geführt, wenn eine Position durch einen Vergleich oder die Herstellung eines Bezugs zu einem anderen Thema relativiert oder kontextualisiert wird. Doch was, wenn dieser Vorwurf selbst weniger ein stichhaltiges Argument als vielmehr eine rhetorische Taktik ist, um unliebsame Vergleiche zu diskreditieren und Diskussionen abzuwürgen? Dieser Artikel möchte beleuchten, warum der sogenannte Whataboutism oft kein valides Gegenargument darstellt, sondern vielmehr dazu dient, von der Komplexität der Realität und notwendigen Kontextualisierungen abzulenken.
Der Kern des Vorwurfs: Vergleiche als Verwischung?
Wenn der Vorwurf des „Whataboutism“ im Raum steht, bezieht er sich meist auf Argumente, die eine Sache in Relation zu einer anderen setzen. Die unterstellte Absicht sei es, vom ursprünglichen Thema abzulenken, es zu verwischen oder zu relativieren. „Wir reden hier doch über X, was hat denn Y damit zu tun?“, ist dann oft die Reaktion. Diese Haltung suggeriert, man könne und müsse Themen isoliert voneinander betrachten.
Die Realität ist relativ: Warum Vergleiche notwendig sind
Tatsächlich stehen aber alle Dinge in Relation zueinander. Unser Verständnis der Welt basiert fundamental auf Vergleichen. Ob etwas als „groß“ oder „klein“, „gut“ oder „schlecht“, „teuer“ oder „günstig“ empfunden wird, erschließt sich uns erst im Kontext, im Vergleich mit anderem. Dieses Prinzip gilt nicht nur für materielle Dinge, sondern auch für abstrakte Konzepte, ethische Bewertungen und juristische Urteile.
Ein Beispiel aus der Juristerei verdeutlicht das Dilemma:
Stellen wir uns eine Diskussion über ein angemessenes Strafmaß für Mord vor. Person A plädiert für eine bestimmte Strafe. Person B wendet ein: „Aber Moment, wenn wir Mord so bestrafen, wie bestrafen wir dann Körperverletzung mit Todesfolge oder Totschlag? Und wie steht das im Verhältnis zu schweren Raubüberfällen oder Brandstiftung? Wir müssen doch eine gewisse Verhältnismäßigkeit wahren, damit unser Rechtssystem als gerecht empfunden wird.“
Würde Person A nun kontern: „Das ist Whataboutism, wir reden hier ausschließlich über Mord!“, und würde sich diese Sicht durchsetzen, könnten absurde und zutiefst ungerechte Urteile die Folge sein. Es wäre denkbar, dass Mord am Ende geringer bestraft wird als Delikte, die im allgemeinen Rechtsempfinden als weniger gravierend gelten. Ohne die Relation zu anderen Straftatbeständen ist eine gerechte Strafzumessung kaum denkbar. Wir merken schnell: Das Ergebnis einer solchen, rein isolierten Betrachtung würden wir nicht mehr als gerecht empfinden.
Der Ursprung des Begriffs: Eine Waffe im Kalten Krieg
Es lohnt sich auch, einen Blick auf die Geschichte des Begriffs „Whataboutism“ zu werfen. Er wurde insbesondere während des Kalten Krieges von westlicher Seite, maßgeblich popularisiert durch die CIA, als Mittel eingesetzt, um Kritik der Sowjetunion an Missständen im Westen (z.B. Rassentrennung, Armut) zu entkräften. Wenn die Sowjetunion auf solche Probleme hinwies, wurde dies als bloße Ablenkung von den eigenen Verfehlungen abgetan – eben als „What about…?“. Der Begriff hat eine ähnliche propagandistische Stoßrichtung wie der ebenfalls oft strategisch eingesetzte Vorwurf der „Verschwörungstheorie“. Beide dienen nicht selten dazu, legitime Fragen oder unliebsame Argumente zu diskreditieren und Diskussionen abzuwürgen, bevor sie überhaupt richtig begonnen haben.
Fazit: Augenwischerei statt Argument
Der Vorwurf des „Whataboutism“ ist in vielen Fällen selbst kein Argument in der Sache. Er ist vielmehr eine rhetorische Figur, eine Form der Augenwischerei, um komplexe Zusammenhänge auszublenden, notwendige Vergleiche zu unterbinden und die eigene Position als alternativlos darzustellen. Anstatt legitime relationale Bezüge und Kontextualisierungen pauschal als „Whataboutism“ abzutun, sollten wir die Stichhaltigkeit und Relevanz des jeweiligen Vergleichs prüfen. Denn nur so können wir zu einer wirklich fundierten, differenzierten und letztlich gerechteren Bewertung von Sachverhalten gelangen. Wirkliche Diskussionen brauchen den Mut zum Vergleich und die Anerkennung von Kontext, nicht das Totschlagen von Argumenten durch Kampfbegriffe.
Dieser Artikel erschien erstmals am 07.05.2025. Das Artikelbild wurde von ChatGPT erstellt.
Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de