Zwischen den Generationen: Warum wir beim BSW eine Jugendorganisation brauchen – und warum manche von uns trotzdem skeptisch sind

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) steht vor der Gründung einer Jugendorganisation. Viele unserer Mitglieder – zugegeben: meist älteren Semesters – begegnen dieser Idee mit Skepsis. Ich gehöre dazu. Und doch ist dieser Text keine Absage an junge Mitglieder. Im Gegenteil: Ich möchte erklären, warum diese Skepsis existiert – nicht um sie zu zementieren, sondern um Brücken zu bauen. Denn wenn wir uns besser verstehen, können wir auch besser zusammenarbeiten.

Immer wieder stoße ich auf den Eindruck, dass jungen Menschen das Thema Frieden nicht dieselbe Bedeutung beigemessen wird wie älteren. Für viele meiner Generation ist Frieden nicht nur ein politisches Ziel unter vielen – es ist das Thema, das uns überhaupt politisch aktiv gemacht hat.

Vielleicht liegt dieser Unterschied in den Erfahrungen begründet. Wir sind aufgewachsen mit Menschen, die den Krieg noch erlebt haben – und das war prägend. Ich erinnere mich an einen alten Mann, dem bei einem Polterabend im betrunkenen Zustand plötzlich die Fassung entglitt, als er vom Krieg erzählte. Der eben noch fröhliche Mensch wurde in wenigen Sekunden zum schweißgebadeten Wrack, weinend, zitternd, voller Trauer und Angst. Solche Erfahrungen – und solche Geschichten – prägen ein Leben. Für die junge Generation sind sie oft nicht mehr greifbar. Und das ist natürlich ein Glück, denn wir hatten innerhalb unseres Landes Jahrzehnte des Friedens. Aber es bedeutet auch: ein Teil des Generationenwissens über die realen Gefahren des Krieges geht verloren.

Viele ältere Menschen wissen um die Gefahr eines neuen großen Krieges – womöglich sogar eines Atomkriegs. Und sie fragen sich, warum junge Menschen nicht mindestens genauso alarmiert sind. Für uns geht es nicht nur um politische Richtungen. Es geht um Leben und Tod.

Doch die Jüngeren haben andere Erfahrungen. Wer heute 20 ist, ist aufgewachsen mit den Warnungen vor dem Klimawandel. Genau wie wir damals vor saurem Regen, Waldsterben, dem Ozonloch und Atomkrieg gewarnt wurden. Diese Gefahren waren real – aber sie wurden auch durch Technik, politischen Druck und Vernunft entschärft. Das prägt unseren Blick: Neue Bedrohungen erscheinen nicht unbedingt harmlos, aber oft vertraut in ihrer Dramatisierung. „Das wird schon nicht so schlimm kommen“, denken viele.

Für die Jungen ist der Klimawandel das existenzielle Thema – für uns ist es der Krieg. Beide Seiten haben gute Gründe. Beide Seiten haben Recht, wenn man ihre jeweilige Lebenswelt und Erfahrung betrachtet.

Dazu kommen andere Unterschiede: Musik, Kleidung, Sprache, kulturelle Codes – das alles ist Nebensache. Viel wichtiger ist, wie politische Entwicklungen eingeschätzt und bewertet werden. Und hier greift ein weiterer Aspekt, der oft übersehen wird: das Bewusstsein für Eigendynamiken in politischen Prozessen.

Ich will das an einem einfachen Beispiel erklären, aus der Kommunalpolitik: Ein Bürgermeister schlägt vor, ein neues Rathaus zu bauen, weil das alte marode ist. Der Rat beschließt zunächst nur, eine detailliertere Planung zuzulassen – keine Entscheidung für oder gegen den Neubau. Und doch ist das oft schon die entscheidende Weichenstellung. Die Sanierungspläne für das alte Rathaus werden gestoppt, Ressourcen fließen in die Neubauplanung, Verhandlungen beginnen. Beim nächsten Mal sagt der Bürgermeister: „Jetzt haben wir so viel investiert – das Alte lohnt sich nicht mehr.“ Die Entscheidung scheint alternativlos.

Solche Eigendynamiken gibt es auch in der großen Politik – etwa bei Aufrüstung. Ein Land beginnt damit, die Nachbarn reagieren, neue Industrien entstehen, Arbeitsplätze hängen plötzlich davon ab. Wer nun abrüsten will, sieht sich dem Argument gegenüber: „Dann gehen Arbeitsplätze verloren.“ Schon wird aus einer Entscheidung ein Zug, der kaum mehr zu stoppen ist. Viele Menschen mit Erfahrung spüren solche Entwicklungen intuitiv – auch, wenn sie sie nicht in Worte fassen können.

Solches Erfahrungswissen fehlt vielen Jüngeren naturgemäß. Und unsere Aufgabe – als ältere Mitglieder – ist es, genau das weiterzugeben. Ohne Überheblichkeit. Ohne „Früher war alles besser“. Aber auch ohne den Fehler, Jugend mit moralischem Bonus auszustatten oder Alter als Belastung zu sehen. Wir brauchen weder Heldenverehrung noch Misstrauen – sondern gegenseitigen Respekt und ehrliches Interesse.

Dass junge Menschen zu uns kommen, ist ein gutes Zeichen. Sie hätten auch zu anderen Parteien gehen können. Sie haben sich bewusst für das BSW entschieden. Viele von ihnen wissen um die Bedeutung von Frieden – sonst wären sie nicht hier. Vielleicht fehlt ihnen an manchen Stellen noch das tiefe Gefühl für gefährliche Dynamiken. Vielleicht sehen sie bestimmte Entwicklungen noch zu isoliert. Aber das kann man lernen – wenn man sich austauscht, einander zuhört und gemeinsam überlegt, wie man miteinander streiten kann, ohne sich zu spalten.

Ich habe in einer anderen Partei erlebt, wie Generationenkonflikte zur Spaltung beigetragen haben. Ich wünsche mir, dass uns das beim BSW nicht passiert. Dafür müssen wir frühzeitig miteinander reden – nicht übereinander. Und das geht nur, wenn wir anfangen, einander zu verstehen.

Natürlich besteht die Gefahr, dass sich die Partei zu sehr an den Forderungen junger Leute orientiert – und dabei jene vergisst, die aus einer anderen Lebensphase und mit einem anderen Erfahrungshorizont zu uns gestoßen sind. Meine feste Überzeugung ist: Menschen kommen zum BSW, weil sie im Laufe ihres Lebens gewisse Mechanismen durchschaut haben – aus beruflichen Zusammenhängen, aus politischen Enttäuschungen, aus persönlichen Erfahrungen. Diese Menschen sind nicht zufällig hier. Sie bringen ein gewachsenes Bewusstsein für politische Zusammenhänge mit – und eine hohe Sensibilität dafür, wenn politische Arbeit durch Show ersetzt wird.

Tatsächlich ist die Sorge nicht unbegründet, dass wir diese Menschen verlieren könnten, wenn wir auf oberflächliche Wirkungen setzen – auf schnelle Aufmerksamkeit, auf TikTok-Inszenierungen oder Ähnliches. Wir sehen doch, wie sich manche „linke Influencer“ in den Vordergrund spielen, während die inhaltliche Arbeit auf der Strecke bleibt. Das gab es übrigens früher schon bei den Grünen. Auch dort wurden Bundestagsabgeordnete gewählt, die versprachen, für ihre Wählerinnen und Wähler Politik zu machen – und am Ende wurde mehr getanzt als gestaltet. Ich habe überhaupt nichts gegen das Tanzen an sich. Aber wenn jemand das Privileg – aber auch den Auftrag – hat, in einem Parlament mitzuarbeiten, wenn man gewählt wurde, um konkrete Interessen zu vertreten, dann empfinde ich es als Missachtung dieses Auftrags, wenn man die Bühne vor allem zur Selbstdarstellung nutzt.

Das ist keine Nähe zur Jugend – das ist eine Verhöhnung derer, die auf Veränderung hoffen.

Dieser Artikel erschien erstmals am 20.05.2025. Das Beitragsbild ist von Gerd Altmann auf Pixabay.

Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de