Im Dezember 1934 verabschiedete das NS-Regime ein Gesetz mit dem harmlos klingenden Titel: „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen“. Der §2 dieses Gesetzes stellte „gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen“ über die politische Führung unter Strafe, sofern sie geeignet waren, das Vertrauen der Bevölkerung in Staat oder Partei zu untergraben. Es war ein direkter Angriff auf jede Form der Kritik an der Macht und diente der Abschottung der Führung vor Widerspruch.
Heute leben wir in einer zwar fehlerhaften Demokratie, die aber Grundrechte und Gewaltenteilung weitgehend sicherstellt. Doch wer glaubt, dass damit ein automatischer Schutz der Meinungsfreiheit besteht, irrt. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung von 2025 enthält Passagen, die aufhorchen lassen müssen. Die geplanten Maßnahmen zur Bekämpfung von sogenannter „Hassrede“ und „Desinformation“ sehen u.a. vor:
- Eine Verschärfung des §130 StGB (Volksverhetzung),
- Den Entzug des passiven Wahlrechts für mehrfach verurteilte „Hasskriminelle“,
- Die Möglichkeit gerichtlicher Account-Sperren,
- Gesetzliche Auskunftspflichten für Plattformen und eine neue Regulierung ihrer Inhalte.
Was als Schutz der Demokratie verkauft wird, ist in Wirklichkeit ein Versuch, die Deutungshoheit über das Sagbare politisch und juristisch abzusichern. Die Definitionsmacht über Begriffe wie „Hass“, „Hetze“, „Delegitimierung“ oder „digitale Gewalt“ liegt bei denjenigen, die aktuell an der Macht sind. Damit ähneln diese Mechanismen funktional den historischen Vorläufern: Kritik wird nicht widerlegt, sondern kriminalisiert. Nicht überzeugt, sondern ausgegrenzt. Nicht argumentiert, sondern gelöscht.
Natürlich leben wir nicht im Faschismus. Die Bundesregierung von 2025 ist nicht die NSDAP, und der Rechtsstaat scheint zumindest teilweise noch intakt. Aber: Der Geist, der hinter dem Heimtückegesetz stand – der Wille, Kritik als Gefahr für die Stabilität zu betrachten und entsprechend zu bekämpfen – ist wieder spürbar. Die Demokratie ist nicht nur durch äußere Feinde bedroht, sondern auch durch eine innere Abwehrreaktion auf gesellschaftliche Spannungen, die zunehmend autoritäre Züge annimmt.
Der Kontext dieser Entwicklung ist brisant: Die neue Regierung tritt ihr Amt in einer Vorkriegszeit an. Die weltpolitische Lage ist instabil, die militärische Aufrüstung im Gange, wirtschaftliche Krisen verdichten sich, die Polarisierung in der Gesellschaft nimmt zu. In solchen Zeiten steigt der Druck auf Regierungen, sich gegen Kritik zu immunisieren. Wer Krieg führen oder unterstützen will, braucht Geschlossenheit. Wer Geschlossenheit will, muss Widerspruch unterdrücken.
Die Lehre aus der Geschichte lautet: „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ Um die Weitergabe dieser Lehre zu unterdrücken muss die Meinungsfreiheit geschliffen werden. Das aber ist ein entscheidender Schritt zur Abschaffung unserer Demokratie. Meinungsfreiheit ist kein Gnadenrecht, das man sich durch Wohlverhalten verdient. Sie ist das Fundament jeder offenen Gesellschaft. Wer sie einschränkt, auch im Namen des vermeintlich Guten, verlässt diesen Boden.
Deshalb braucht es jetzt klare Stimmen gegen diesen Trend. Nicht nur zur Verteidigung von Artikel 5 Grundgesetz. Sondern zur Verteidigung der Demokratie gegen ihre Instrumentalisierung. Wer heute schweigt, weil er die Richtung der Repression für moralisch richtig hält, muss sich morgen fragen lassen, warum er die Instrumente des Machterhalts nicht früher in Frage gestellt hat.
Wenn die Meinungsfreiheit so weit eingeschränkt wird und weder Politik, noch Medien oder Gerichte dem wirksam entgegentreten, dann ist unsere bisherige freiheitlich demokratische Grundordnung nur noch Geschichte. Erleben wir gerade einen Staatsstreich?
Dieser Artikel erschien zuerst am 23.04.2025. Das Beitragsbild ist ein Beispielbild von Rafael Javier auf Pixabay.
Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de