Still und leise wurde in Nordrhein-Westfalen bereits 2021 ein Grundrecht beschnitten – durch eine Änderung, die vielen kaum auffällt, aber tiefgreifende Wirkung hat. In der Gemeindeordnung (GO NRW) und der Kreisordnung (KrO NRW) stand bis vor wenigen Jahren sinngemäß, dass jeder sich mit Anregungen oder Beschwerden an den Rat oder den Kreistag wenden kann. Heute heißt es: jeder Einwohner – und das ist mehr als eine sprachliche Feinjustierung. Es ist ein Angriff auf ein Grundrecht.
Artikel 17 des Grundgesetzes ist eindeutig: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.“ Keine Einschränkung auf Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder Aufenthaltsdauer. Keine Hintertür. Kein Interpretationsspielraum.
Was aber macht das Land NRW? Es nimmt dieses universelle Grundrecht – und macht es zu einem Privileg. Nur wer mindestens seit drei Monaten in der Gemeinde oder dem Kreis wohnt, darf nach aktueller Rechtslage offiziell eine Anregung oder Beschwerde an Rat oder Kreistag richten. Der Rest? Ist ausgeschlossen, zumindest nach dem Wortlaut der Gemeinde- und der Kreisordnung in NRW. Das ist nicht nur ein eklatanter Widerspruch zum Wortlaut des Grundgesetzes – es ist ein politischer Skandal.
Oder – und auch das ist möglich – im Landtag hat sich niemand ernsthaft Gedanken darüber gemacht, ob diese Änderung überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Vielleicht war es schlicht Gedankenlosigkeit, vielleicht wurde der Bezug zur Verfassung schlicht übersehen. Doch auch das wäre ein Skandal. Denn wenn ein Landesparlament beschließt, Bürgerrechte einzuschränken, ohne die Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, dann wirft das ein düsteres Licht auf den Zustand parlamentarischer Verantwortung. Gerade im Landtag, wo Gesetze gemacht werden, muss das Grundgesetz Richtschnur sein – nicht Randnotiz.
Was früher ein Schutzrecht war, ist nun eine Hürde. Und das mit voller politischer Absicht – oder schlimmer noch: aus politischer Gedankenlosigkeit. Die Änderung wurde 2021 beschlossen – nicht etwa zur Stärkung der Kommunen, sondern zur Kontrolle der Beteiligung. Wer sich heute auf die Gemeindeordnung beruft, kann keine Eingabe nach § 24 GO NRW oder nach § 21 KrO NRW machen, wenn er nicht Einwohner im juristischen Sinne ist. Dass es eine weitergehendes Recht nach dem Grundgesetz gibt ist dagegen vielen nicht bewusst.
Im Übrigen ist das nicht nur Theorie. Vor der Änderung gab es in den Räten vereinzelt Anregungen, die von Interessenvertretungen mehreren kommunalen Entscheidungsgremien gleichzeitig vorgelegt wurden. Es waren nie so viele, dass sie zu einer unzumutbaren Belastung geführt hätten, aber es gab sie. Ich erinnere mich beispielsweise daran, dass auf diesem Wege angeregt wurde, eine Kastrationspflicht für Katzen einzuführen. Absender war ein Tierschutzverein, der damit die Diskussion in die Räte brachte.
Dazu der folgende Tipp: Art. 17 des Grundgesetzes gilt auch gegenüber den Kommunen in NRW weiterhin. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied: Während Anregungen und Beschwerden nach der Gemeinde- oder Kreisordnung NRW auch per E-Mail eingereicht werden können, verlangt das Petitionsrecht nach dem Grundgesetz die Schriftform. Um es in Anspruch zu nehmen, muss also ein eigenhändig unterschriebenes Schreiben eingereicht werden. Praktisch dürfte man jedoch auf Probleme stoßen, wenn Mitarbeiter der Kommunen sich auf die Gemeinde- oder Kreisordnung berufen. Und es bleibt die grundsätzlich zu klärende Frage, wie der Landtag überhaupt auf die Idee kommen konnte, ein Grundrecht so einzuschränken.
Es drängt sich die Frage auf: Was ist ein Recht noch wert, wenn es von einer Landesregierung beliebig eingeschränkt werden darf – oder ohne verfassungsrechtliche Prüfung verändert wird? Wenn man aus einer Formulierung wie „jeder“ ganz offiziell „jeder Einwohner“ macht – und damit hunderttausende Menschen ausschließt?
Diese Entwicklung ist nicht nur ein Fall für Verfassungsjuristen – sie gehört in die Öffentlichkeit. Sie ist ein Lehrstück dafür, wie Grundrechte Schritt für Schritt entkernt werden können – nicht durch lauten Verfassungsbruch, sondern durch die stillschweigende Umetikettierung in der Landesgesetzgebung.
Deshalb sollte sich jeder fragen: Wenn dieses Grundrecht so einfach ausgehöhlt werden kann – welches ist das nächste?
Eine Gemeni-Reasearch Ausarbeitung zum Thema ist hier zu finden:
Dieser Artikel erschien zuerst am 04.05.2025. Das Bild zu diesem Artikel ist ein Beispielbild, welches mit Caht-GPT erstellt wurde.
Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de