Wir erleben in der heutigen Zeit eine besorgniserregende Zunahme der Gewalt in unserer Gesellschaft. Angriffe auf Rettungskräfte, Gewalt an Schulen, Todesfälle bei Polizeieinsätzen und sogar die Akzeptanz von Kriegen als politische Option häufen sich. Die sogenannte Spaltung der Gesellschaft verhindert in vielen Fällen schon die sachliche Diskussionsführung, auch das eine Folge von zunehmender Aggression in der Gesellschaft?
Es stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte und welche Ursachen dieser Gewalt zugrunde liegen. Neben den häufig diskutierten sozialen und individuellen Faktoren scheint ein Aspekt bislang unzureichend beachtet worden zu sein: die Einflüsse unserer Umwelt, die wir als Menschen selbst geschaffen haben.
Hitze, Lärm, Stress, Schadstoffe in Luft, Wasser und Lebensmitteln – all das sind Faktoren, die unweigerlich Auswirkungen auf das menschliche Verhalten haben. In der Forschung wird zunehmend erkannt, dass diese Umweltbedingungen tief in unsere Biologie eingreifen können und dadurch das Gewaltpotenzial einer gesamten Gesellschaft steigern. Der Einfluss von epigenetischen Veränderungen, die durch solche Umweltfaktoren ausgelöst werden, ist dabei besonders hervorzuheben. Epigenetik beschreibt die Veränderung der Genexpression durch Umweltfaktoren, ohne dass die DNA selbst verändert wird. So wurden in einer Studie der Max-Planck-Gesellschaft an Hochrisikopatienten epigenetische Veränderungen festgestellt, die mit einer erhöhten Aggressionsneigung einhergingen. Die Forscher fanden erhöhte Mengen des Enzyms Histon-Deacetylase-1 (HDAC1), das eine Rolle in der Genregulation spielt, bei diesen Patienten. Diese Erkenntnis zeigt, dass Umweltfaktoren wie Stress und Schadstoffe im wahrsten Sinne des Wortes Spuren im menschlichen Erbgut hinterlassen können.
Darüber hinaus gibt es auch Hinweise darauf, dass bestimmte Krankheitserreger das Gewaltpotenzial beeinflussen können. Der bekannteste Erreger in diesem Zusammenhang ist der Parasit Toxoplasma gondii. Toxoplasma gondii kann das Verhalten von infizierten Personen beeinflussen und möglicherweise zu erhöhter Risikobereitschaft und Aggressivität führen. Studien haben einen Zusammenhang zwischen T. gondii-Infektionen und erhöhten Raten von Gewaltverbrechen sowie Verkehrsunfällen festgestellt. Auch andere Krankheitserreger können das Verhalten beeinflussen: Bestimmte Viren wie Tollwut oder Herpes-Viren können in seltenen Fällen das Gehirn befallen und zu Aggressivität führen. Bakterielle Infektionen wie Syphilis im Spätstadium können ebenfalls das Gehirn schädigen und Verhaltensänderungen verursachen.
Obwohl es keine eindeutigen Hinweise darauf gibt, dass Erreger, die die Gewaltbereitschaft steigern könnten, in letzter Zeit eine zunehmende Verbreitung finden, variiert die Verbreitung von T. gondii stark zwischen verschiedenen Regionen und Populationen. Globale Faktoren wie der Klimawandel und veränderte Lebensräume können die Verbreitung von Parasiten und Krankheitserregern beeinflussen.
Ein weiterer relevanter Zusammenhang besteht zwischen Umweltfaktoren wie Hitze, hohen Ozon- und UV-Werten und einer erhöhten Gewaltbereitschaft. Eine Studie aus den USA fand einen Zusammenhang zwischen Umweltfaktoren wie Hitze, hohen Ozon- und UV-Werten und einer erhöhten Häufigkeit von Hundebissen. An Tagen mit höheren UV-Werten nahm die Anzahl der Hundebisse um 11 % zu, an heißeren Tagen um 4 % und bei höheren Ozonkonzentrationen um 3 %. Die Forscher vermuten, dass ähnliche Mechanismen auch beim Menschen wirken könnten. Ozon löst oxidativen Stress in den Atemwegen aus und setzt Stresshormone frei, während UV-Strahlung ebenfalls aggressionssteigernde Wirkungen haben kann. Höhere Temperaturen und Luftschadstoffbelastung wurden in anderen Studien mit erhöhter menschlicher Aggression in Verbindung gebracht.
In der Psychologie wird der Zusammenhang zwischen Außentemperaturen und aggressivem Verhalten als „Long-Hot-Summer-Effekt“ bezeichnet. Studien deuten darauf hin, dass gewalttätige Übergriffe in wärmeren Jahren und Jahreszeiten zunehmen. Ebenso nimmt die Hilfsbereitschaft bei großer Hitze ab, und Sportler im Wettkampf foulten bei Hitze häufiger. In einem Experiment zeigte sich, dass Versuchspersonen in einem heißeren Raum häufiger „Bestrafungen“ in Form von Elektroschocks verteilten. Allerdings ist zu beachten, dass diese Studien Korrelationen zeigen, aber keine eindeutigen Kausalzusammenhänge. Andere Faktoren wie Erziehung, Geschlecht oder situative Umstände spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei aggressivem Verhalten.
Doch wie wirkt sich das konkret auf unsere Gesellschaft aus? Ständiger Lärm, sei es durch Verkehr, Baustellen oder industrielle Emissionen, versetzt uns in einen permanenten Stresszustand. Dieser Stress führt zu einer Überproduktion von Stresshormonen wie Cortisol, die die emotionale Regulation beeinträchtigen. Die Fähigkeit, impulsivem Verhalten Einhalt zu gebieten, nimmt ab. Gleiches gilt für Schadstoffe in unserer Umgebung, die nachweislich neurotoxische Wirkungen entfalten können. Feinstaub, Schwermetalle und andere Umweltgifte wirken direkt auf das Gehirn und beeinträchtigen unsere kognitiven Fähigkeiten, unsere Impulskontrolle und unsere emotionale Stabilität. Studien zeigen auch, dass Menschen, die einer hohen Schadstoffbelastung ausgesetzt sind, ein erhöhtes Risiko für aggressives Verhalten aufweisen.
Auch hormonelle und neurobiologische Veränderungen tragen zur Zunahme der Gewalt bei. So wird erhöhten Testosteronspiegeln eine verstärkte Aggressivität zugeschrieben. Der Neurotransmitter Serotonin, der eine beruhigende Wirkung hat und zur Impulskontrolle beiträgt, ist bei chronisch gestressten Menschen oft auf einem niedrigen Niveau. Die Überaktivität der Amygdala, dem Zentrum für Angst und emotionale Reaktionen im Gehirn, wurde ebenfalls bei Menschen mit erhöhter Aggressionsbereitschaft beobachtet. Diese Veränderungen sind oft das Ergebnis langfristiger Belastungen, die sich direkt auf unsere Gehirnstruktur auswirken.
In einer Gesellschaft, die zunehmend durch Stress, Überreizung und Umweltgifte belastet ist, steigt also auch das Gewaltpotenzial. Es sind nicht allein soziale Probleme wie Armut, Perspektivlosigkeit oder schlechte Bildung, die die Gewaltspirale antreiben. Vielmehr sind es auch die schleichenden, oft unsichtbaren Einflüsse, die unser Verhalten prägen.
Die Zunahme der Aggression in der Gesellschaft stellt eine große Gefahr für die Menschheit dar. Wenn die Aggressionen in der Bevölkerung zunehmen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch Führungspersonen von diesen Entwicklungen betroffen sind. Diese Führungspersönlichkeiten treffen dann auf eine Gesellschaft, die ihrerseits eine erhöhte Neigung zur Gewalt aufweist. In Kombination könnte dies das Risiko kriegerischer Auseinandersetzungen drastisch erhöhen. Die Bereitschaft, Konflikte gewaltsam zu lösen, würde sowohl auf Seiten der politischen Entscheidungsträger als auch in der allgemeinen Bevölkerung zunehmen, was letztlich zu einer eskalierenden Gewaltspirale führen könnte.
Dieser Artikel wurde am 15.10.2024 zuerst veröffentlicht. Das Artikelbild ist ein Beispielbild, welches mit DallE erstellt wurde.
Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de