Die Armutsindustrie II – Maßnahmenträger

Über den Niedergang der Bildungsträger und das Aufblühen der Träger von Maßnahmen habe ich ja schon ein wenig geschrieben, dass ich hier weiter ausführen möchte.

Fangen wir mal mit dem Geld an, dass Ganze ist ein Milliardengeschäft von dem etliche Träger sehr gut leben können, da sie pro Erwerbslosen zwischen 600,- und 1000,- Euro pro Monat bekommen.

Das klingt jetzt erst mal nach nicht viel, bedenkt man aber, dass um die 300.000 Personen jeden Monat an diesen Maßnahmen teilnehmen, respektive teilnehmen müssen, läppert es sich schon ganz schön, was da an Geld zusammenkommt. Man geht hier von ca. 4 Milliarden Euro aus, die jedes Jahr in dieses System der Sinnlosmaßnahmen fließen.

Werfen wir doch mal einen Blick darauf, was so alles an Maßnahmen angeboten wird.

Da hätten wir das klassische Bewerbungstraining, dass meist über drei Monate geht. Das mag beim ersten Mal noch recht sinnvoll sein, verliert aber nach dem dritten oder vierten Mal seinen Reiz, besonders dann, wenn jedes Mal etwas Anderes vermittelt wird.

So ist mir ein Fall bekannt, bei dem eine Erwerbslose zu einem Bewerbungstraining gezwungen wurde, dort unter „professioneller“ Hilfe ihre Bewerbungsunterlagen erstellt hat und die Fallmanagerin diese so schlecht gefunden hat, dass sie sie den Kurs direkt noch mal hat wiederholen lassen, weil sie die Unterlagen für nicht vorzeigbar gehalten hat.

Sport und Fun für Ernährungsbewusste, ja, auch das gibt es als Maßnahme, ein Freund von mir wurde vom Jobcenter dazu verdonnert zuerst an einem Nordic Walking Kurs, danach an einem Kochkurs und zum Schluss an einem Fitnesskurs teilzunehmen.

Jeder Kurs hat sechs Monate gedauert und nach den zwei Jahren, die das Ganze Spiel gedauert hat, hatte ich jetzt nicht wirklich den Eindruck, dass seine Fähigkeit zur Integration in den Arbeitsmarkt gestiegen ist und besser kochen konnte er auch nicht.

Skurriles und vermischtes.
Wer meint es geht nicht noch blöder als „Sport und Fun für Ernährungsbewusste“ hat sich geschnitten.

Da hätten wir den Kaufmannsladen des TÜV Nord, Originalzitat aus dem Spiegel:
Aufblasbarer Plastikkäse, kopiertes Spielgeld, gefärbtes Wasser in Weinflaschen: Das Jobcenter Hamburg finanziert einen kompletten Supermarkt. Hartz-IV-Empfänger sollen dort wieder arbeiten lernen. Die simulierte Einkaufstour kostet Millionen – und hat bislang nur eine magere Erfolgsquote.

Ein Spaziergang mit Lamas
Der absurde Höhepunkt der Reportage (von Günter Wallraff) ist der Spaziergang mit den Lamas. Acht Langzeitarbeitslose werden in einer Weiterbildungsmaßnahme einen halben Tag lang dazu verdonnert, sich den südamerikanischen Tieren zu widmen. Wallraff begleitete getarnt als Tourist den „Kurs“. Einer kleinen Einführung zur Natur der Tiere („Sie spucken aus Futterneid“) folgt ein Spaziergang mit den Tieren, bei dem je zwei Langzeitarbeitslose ein Lama führen müssen. Welchem Sinn und Zweck die Aktion dient, bleibt offen.

Das Team um Günter Wallraff offenbart recht amüsante Fortbildungen. Beim fünfwöchigen Motivationskurs überlegen die Arbeitslosen, was sie auf eine einsame Insel mitnehmen könnten, falls ihr Kreuzfahrtschiff untergeht. Dass sie sich dabei dumm vorkommen, sagen sie dem Dozenten auch deutlich. Dass es sie wahrscheinlich auch entmutigt, weil eine Reise übers Mittelmeer ihr kleinstes Problem wäre, liegt nahe.

Tja, die Liste der Sinnlosmaßnahmen ist lang und es lässt sich trefflich darüber lachen, zumindest dann, wenn man nicht selbst von ihnen betroffen ist und sich nicht vor Augen führt, dass wir alle für solch einen Schwachsinn bezahlen.

Kommen wir zu der Frage, warum werden solche Maßnahmen durchgeführt, auch hier möchte ich einen Ausriss aus einem Artikel des Sterns zu den verdeckten Ermittlungen des Teams um Günter Wallraff zitieren:

Aber warum gibt es solche Maßnahmen, wenn der Erfolg gering ist? Hier kommt die perverse Logik eines Systems ins Spiel, das die Menschen hin- und herschiebt, um sich selbst zu rechtfertigen. „Da wird nur Arbeitslosigkeit verwaltet“, berichtet ein Jobcenter-Mitarbeiter. Schließlich müssen die Vorgaben der Chefs umgesetzt werden. Außerdem existiert eine ganze Industrie an Trägerfirmen, die sinnlose Maßnahmen anbieten. Man profitiert voneinander. Das Jobcenter kann behaupten, dass es sich um die Langzeitarbeitslosen kümmert, die Träger erhalten Aufträge.

Und so ganz nebenbei werden hier die Erwerbslosenzahlen geschönt, denn, jeder der an solch einer Sinnlosmaßnahme teilnimmt, fällt aus der Statistik raus, da er nicht mehr als Erwerbslos gilt.

Wie werden die Maßnahmen mit Erwerbslosen gefüllt, wenn doch alle, also auch die „Integrationsfachkräfte“ und Erwerbslosen wissen, dass sie nichts bringen?
Hierzu gibt es (mindestens) zwei Möglichkeiten, man schwatzt sie ihnen auf oder man zwingt sie in die Maßnahmen. Beides habe ich schon erlebt, wenn ich Beistände beim Jobcenter gemacht habe, daher hier mal zwei Beispiele.

Beistand eins, die Fallmanagerin schildert eine Maßnahme an der der Erwerbslose teilnehmen soll und lobt die Erfolgsaussicht, sowie die Maßnahme in den Himmel. Schade nur für sie, dass ich kurz vorher jemanden in der Beratung hatte, der genau an dieser Maßnahme teilgenommen hat und wir uns darüber unterhalten haben wie grottig diese war. Damit habe ich sie dann konfrontiert und sie hat Abstand davon genommen ihren „Kunden“ weiter zu beschwatzen.

Beistand zwei, ein Fallmanager will über die Eingliederungsvereinbarung (heute heißt das „Potenzialanalyse und Kooperationsplan“) seinen „Kunden“ dazu zwingen an einer Maßnahme teilzunehmen. Nach dem Satz von ihm „Sie müssen das unterschreiben“, gemeint war die Eingliederungsvereinbarung, habe ich ihn erst mal knapp eine viertel Stunde einen Vortrag zu einen Öffentlich-rechtlichen Vertrag gehalten, denn, eine Eingliederungsvereinbarung ist nichts anderes, ausdrücklich betont, dass wir jederzeit gesprächsbereit sind und ihm empfohlen, die Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt zu erlassen, was er auch tatsächlich gemacht hat. Einen Widerspruch und drei Monate später war die Eingliederungsvereinbarung vom Tisch und von dem Fallmanager hat sein Kunde nie wieder was gehört.

In beiden geschilderten Fällen wären die Erwerbslosen mit Sicherheit in den Maßnahmen gelandet, wenn sie keinen Beistand gehabt hätten.

Auch ist mir bekannt, dass das Fallmanagement von der Teamleitung ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass man für die Maßnahme XYZ noch dringen „Kunden“ braucht, die an ihr teilnehmen. In dem mir bekannten Fall wurden alle Mitarbeiter dazu verpflichtet bis zum Tag X mindestens drei „Kunden“ davon zu „überzeugen“ an der Maßnahme teilzunehmen. Und diese Information habe ich jetzt nicht über mehrere Ecken bekommen, sondern von einem der Mitarbeiter, die dazu angewiesen wurden die Maßnahme mit Kunden zu füllen.

Würde man den Sumpf der Sinnlosmaßnahmen austrocknen, könnte man mit dem eingesparten Geld den Regelsatz für alle Leistungsberechtigten mal eben um gut 60,- Euro erhöhen, was viel sinnvoller wäre, als damit einen Teil der Armutsindustrie zu füttern, aber, das ist politisch nicht gewollt, denn, wo würden wir hinkommen, wenn wir die Erwerbslosen nicht dazu zwingen würden/könnten an Sinnlosmaßnahmen teilzunehmen und ihnen dafür ein klein wenig das Leben zu erleichtern.

Dieser Artikel ist der zweite Teil einer vierteiligen Serie:
Die Armutsindustrie I – Geschichte der Armutsindustrie
Die Armutsindustrie II – Maßnahmenträger
Die Armutsindustrie III – Caritas, AWO & Co
Die Armutsindustrie IV – Die Tafeln

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Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de