Die Armutsindustrie IV – Die Tafeln

Als Vorwort möchte ich Prof. Stefan Selke zitieren:

Tafeln? Das sind doch die inzwischen als äußerst ambivalent eingeschätzten „Lebensmittelretter“, die bundesweit immer mehr arme Hartz-IV-Empfänger, Langzeitarbeitslose, Rentner und mancherorts sogar Studierende versorgen. Regelmäßig werden die Tafeln kritisiert, weil sie dazu beitragen, das Problem der Armut zu entpolitisieren. Armut, so der Kern der Kritik, entwickele sich durch die stetige Präsenz der Almosensysteme in diesem Land von einem politischen Skandal zu einer gesellschaftlich arrangierten Bedürftigkeit. Und innerhalb der sich immer weiter ausdifferenzierenden neuen Armutsarrangements lassen sich auch Gewinne erwirtschaften. Armutsökonomie bedeutet, dass Armut zur (ver)handelbaren Ware wird.

McKinsey und die Tafeln.

Das Konzept der Tafeln, und der damit verbundenen Privatisierung des Armutsrisikos stammt von der Firma McKinsey. Diese Firma war unter anderem auch an der Konzeption von Hartz IV beteiligt, hat Konzepte für die Arbeitsweisen der Jobcenter entwickelt und somit an der „Reform“ der Sozialversicherungen massiv mitgewirkt, und ihr ihren neoliberalen Stempel aufgedrückt.

Auch hat McKinsey kostenlos für den Bundesverband der Tafeln einen Leitfaden und ein Handbuch zum Aufbau und Betrieb der Tafeln verfasst, der eine bindende Lektüre für jedes Mitglied der Tafel Deutschland e. V. darstellt.

Und um mich mal selbst zu zitieren:

Robert Schwedt, Mitglied im SprecherInnenrat der Bundesarbeitsgemeinschaft Hartz IV, der Partei DIE LINKE meint dazu: „Hier wurde ein Kreislauf geschlossen, der die Menschen erst durch Hartz IV und die Senkung der Rentenhöhe arm macht, um sie danach billig mit der Überproduktion der Wirtschaft abzuspeisen und sie somit ruhig zu stellen.

Dieses System erzeugt eine win-win-win Situation da einerseits von Ihm die Wirtschaft doppelt profitiert, da sie ihren Abfall nicht teuer selbst entsorgen muss und einen zusätzlichen Imagegewinn wegen ihrer „Wohltätigkeit“ verbucht, und andererseits dem Staat der sich mit diesem System billig aus seiner sozialen Verantwortung schleicht.“

Auf die Entwicklung und Ausdehnung der Tafeln bin ich ja schon eingegangen um zu zeigen, dass diese eng mit der Einführung von Hartz IV in Verbindung stehen. Aber auch dieses System hat mittlerweile seine Grenzen erreicht, nicht etwa, weil der Bedarf gedeckt ist, sondern weil man kaum noch genügend Wohlstandsabfälle und Geldgeber findet, um weiter zu expandieren. Auch geht die Zahl der freiwilligen Helfer zurück, wohl nicht zuletzt, da sich diese stark aus den Armutsbetroffenen selbst rekrutieren, die sich als Dank für ihr Hilfe zuerst an den Abfällen bedienen dürfen.

Und noch ein Zitat, diesmal vom „Sozialverband Deutschland“ um zu zeigen, wie man sich die Tafeln schönreden kann:

Das Prinzip der Tafeln ist so einfach wie sinnstiftend: Ehrenamtlich Mitarbeitende sammeln im Handel und von Herstellern Lebensmittel ein, die sonst im Abfall landen würden, und geben sie an Armutsbetroffene weiter. So erhalten Menschen in prekärer Lage einen kleinen finanziellen Spielraum, während überdies ein Beitrag zur Nachhaltigkeit geleistet wird. Weil zugleich Begegnung stattfindet, stärkt das außerdem soziale Teilhabe.

Ich möchte jetzt nicht auf das „Sinnstiften“, die Aussage, dass man „Abfall“ einsammelt, den angeblichen „finanziellen Spielraum“, sowie die „Nachhaltigkeit“ eingehen, sondern nur auf den Satz „Weil zugleich Begegnung stattfindet, stärkt das außerdem soziale Teilhabe.“.

Die Caritas definiert „Soziale Teilhabe“ wie folgt:

Soziale Teilhabe meint teilhaben am Leben in der Gemeinschaft. Das umfasst u. a. das politische Leben, kulturelle Aktivitäten sowie bezahlte und unbezahlte Arbeit.“

Da fragt man sich doch, wie man das Schlange stehen, bevor man sich den Abfall der Wohlstandsgesellschaft eintüten darf als „Soziale Teilhabe“ verkaufen kann oder will. Denn, in der Schlange ist man unter sich, da größtenteils nur Grundsicherungsberechtigte vom „Segen“ der Tafeln profitieren dürfen und ob dies als kulturelle Aktivität oder „Arbeit“ anzusehen ist, wage ich mal stark zu bezweifeln. Sarkastisch könnte man jedoch durchaus behaupten, dass es eine Teilhabe am politischen Leben ist, wenn auch erzwungen, da die Politik die Armut nicht bekämpft, sondern sie immer mehr verfestigt und ausweitet, nicht zuletzt durch die vollkommen unzureichenden Regelsätze, die immer wieder so kleingerechnet werden, dass sie die Menschen zu den Tafeln treiben, damit sie dort die „Begegnung“ mit anderen Armen und die „soziale Teilhabe“ genießen können. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass sie bei diesen „Begegnungen“ und der damit verbundenen „sozialen Teilhabe“ nicht in Dionysische Gelage oder spätrömische Dekadenz verfallen.

Und noch ein Zitat, diesmal von der Caritas:

Es wäre fatal, wenn die politischerseits gern gesehene Tafelbewegung dazu beiträgt, dass sich der Staat mit Hinweis auf die Bürgergesellschaft aus der Daseinsvorsorge seiner Bürger sukzessive zurückzieht.

Aber genau dies geschieht seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, der Staat zieht sich immer weiter aus der Daseinsvorsorge zurück und überlässt sie Teilen der Armutsindustrie. Und wenn schon die Caritas, die selbst Teil dieser Armutsindustrie ist, die Zustände bemängelt, kann man sich ausrechnen wie gravierend hier die Fehlentwicklung ist, die zu immer mehr Armut führt, die unter dem Deckmantel der „Wohltätigkeit“ verborgen werden soll.

Der Kapitalismus basiert auf der seltsamen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen mit widerwärtigen Motiven irgendwie für das Gemeinwohl sorgen werden. Am System der Tafeln lässt sich sehr anschaulich darstellen, dass das Zitat von dem britischen Ökonom John Maynard Keynes auch heute noch, gut 80 Jahre nach seiner Entstehung, immer noch vollkommen zutreffend ist.

Denn, ein System das von McKinsey, einem der übelsten Helfer des Kapitals kommt, ist mit Sicherheit nicht darauf ausgerichtet die Interessen der Armen zu vertreten, sondern die des Kapitals.

Dieser Artikel ist der vierte Teil einer vierteiligen Serie:
Die Armutsindustrie I – Geschichte der Armutsindustrie
Die Armutsindustrie II – Maßnahmenträger
Die Armutsindustrie III – Caritas, AWO & Co
Die Armutsindustrie IV – Die Tafeln

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Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de