Kant und die offenen Grenzen

Das Konzept offener Grenzen zielt darauf ab, die Bewegungsfreiheit und den Austausch zwischen den Menschen zu fördern. Die Befürworter argumentieren oft, dass offene Grenzen ein Mittel zur Überbrückung von Wohlstandsunterschieden und zur Förderung globaler Gleichheit sein können. Doch dieses Konzept stößt an seine Grenzen, wenn das Wohlstandsgefälle zwischen den Staaten zu groß ist. Ein zu großes Wohlstandsgefälle würde zu massiver Migration, sozialen Spannungen und möglicherweise auch zu Konflikten führen.

Um ein ausreichend angeglichenes Wohlstandsgefälle zu erreichen, müssten die Staaten wahrscheinlich einen Teil ihrer Souveränität an ein übergeordnetes Gebilde abgeben. Dieses übergeordnete Gebilde wäre nichts anderes als eine Form eines Weltstaates. Auch wenn ein solcher Weltstaat zu Beginn nur wenige Kompetenzen haben würde, wäre damit zu rechnen, dass er seine Kompetenzen schnell ausweitet. Diese Tendenz zur Ausweitung der Kompetenzen ist in der DNA solcher Organisationsformen verankert, wie die Entwicklung der Europäischen Union von der Montanunion zu ihrer heutigen Form zeigt.

Jedoch hat schon Immanuel Kant in seinem Werk „Zum ewigen Frieden“ (1795) die Gefahren eines Weltstaats erkannt und stattdessen eine „Föderation freier Staaten“ vorgeschlagen. Kant befürchtete, dass ein Weltstaat zu einem weltweiten Despotismus führen könnte, der die Freiheit der Einzelnen und der einzelnen Staaten erstickt. Diese Föderation wäre ein Zusammenschluss souveräner Staaten, die ihre Unabhängigkeit bewahren, aber sich verpflichten, Konflikte durch Recht und Diplomatie und nicht durch Krieg zu lösen.

Kants Präferenz für eine Föderation von Nationalstaaten anstelle eines Weltstaats war auch durch seine Überzeugung geprägt, dass die Vielfalt und die unterschiedlichen Eigenschaften der einzelnen Nationalstaaten eine wertvolle Ressource sind. Er glaubte, dass eine globale politische Einheit die Vielfalt und die Freiheit erheblich einschränken könnte. Er argumentierte, dass ein System souveräner Staaten, die durch ein gemeinsames Recht verbunden sind, eine bessere Balance zwischen Ordnung und Freiheit ermöglichen würde.

Beides aber wird nicht funktionieren, offene Grenzen vertragen sich nicht mit Nationalstaaten. Das heißt nicht, dass wir uns damit abfinden sollten, dass Menschen an Grenzen sterben. Doch es heißt, dass wir andere Lösungen benötigen als offene Grenzen. Eine schöne Vision, die aber nicht realisierbar ist, führt am Ende auf einen Irrweg.

Dieser Artikel wurde am 04.11.2023 erstellt. Das Artikelbild ist ein Beispielbild, es wurde von Dal-E erstellt.

Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de