Die Notwendigkeit der Relativierung in der politischen Diskussion

In den letzten Wochen haben sich die Spannungen im Nahen Osten erneut zugespitzt. Die Auseinandersetzung begann mit einem Angriff der Hamas auf Israel, bei dem nach Angaben mehr als 1.300 Menschen ums Leben kamen, andere Quellen sprechen von mehr als 1400 Todesopfern. Darüber hinaus wurden mehr als 200 Menschen verschleppt und unzählige verletzt. Die Hamas erklärt, sie reagiere damit auf das jahrzehntelange Unrecht der israelischen Besatzung. Israel hat daraufhin den Gazastreifen bombardiert, wobei Berichten zufolge 7.131 Palästinenser getötet und unzählige verletzt wurden.

Auch in Europa blickt man mit Sorge auf die Entwicklungen im Ukraine-Krieg. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind dort bisher fast 1000 Kinder ums Leben gekommen. Russland gibt an, dass im Donbass in der Zeit von 2014 – 2022, also vor dem Einstieg Russlands in den Ukrainekrieg, insgesamt 42.500-44.500 Menschen ums Leben kamen oder verletzt wurden. Andere Quellen sprechen von niedrigeren Zahlen. Ein Jahr nachdem Russland in die Ukraine einmarschierte wurden 6-stellige Opferzahlen in diesem Konflikt angegeben.

Die Berichterstattung in Deutschland wird kritisiert, insbesondere im Hinblick auf die Darstellung der Konflikte im Nahen Osten und in der Ukraine. Die „Bild am Sonntag“ etwa beklagt am 29.10.2023 die Zunahme von Antisemitismus in Form von Beleidigungen, Schmierereien und körperlichen Angriffen, reagiert jedoch nicht in ähnlicher Weise, wenn Flüchtlingsunterkünfte brennen und Menschen, oft muslimischen Glaubens, ermordet werden.

Ein anderer Konflikt, der in den Medien wenig Beachtung findet, ist der Krieg im Jemen, der laut Berichten 380.000 Opfer gefordert hat, darunter 11.000 Kinder.

All diese Situationen sind Beispiele für sehr kontroverse Relativierungen, die oft als Versuch wahrgenommen werden, vorherige Aussagen herunterzuspielen oder zu relativieren. Und dennoch sind Relativierungen ein wesentlicher Bestandteil der politischen Diskussion. Sie helfen uns, die Dinge in den richtigen Kontext zu setzen und ein realistisches Bild der Situation zu erhalten.

Ein einfaches Beispiel kann das verdeutlichen:

  • Hans verdient 15,- € die Stunde.
  • In seiner Stadt ist er damit ein Spitzenverdiener, da der durchschnittliche Stundenlohn bei nur 3,40 € liegt.
  • Im Vergleich zu seinem Chef, der mehr als das 50-fache verdient, scheint Hans‘ Einkommen jedoch gering.

Beide Aussagen relativieren die erste Information, widersprechen sich aber nicht. Sie helfen uns, die genannte Summe einzuordnen und zeigen, dass es wichtig ist, mehr als eine Perspektive zu betrachten, um ein vollständiges Bild zu erhalten. Wer aus ideologischen Gründen verlangt, dass eine der beiden Aussagen unterbleibt, verlangt im Grunde genommen, die Wahrheit zu verdrehen, da dem Leser ein falscher Eindruck vermittelt würde.

Das bedeutet jedoch nicht, dass durch die Relativierung etwas heruntergespielt wird. Die Summe von Hans‘ Verdienst bleibt unverändert. Und wenn wir zu unseren umstrittenen Beispielen zurückkehren: In fast jedem Land der Welt ist Mord mit der Höchststrafe belegt, und das bereits für das erste Vergehen. Die Schuld, die die Verursacher tragen, wird durch die Relativierung nicht gemindert. Denn die Schuld erreicht bereits im ersten Fall das Maximum.

Die Relativierung von Informationen, auch wenn sie umstritten ist, ist daher ein entscheidendes Instrument für eine ausgewogene und informierte politische Diskussion.

Dieser Artikel wurde am 29.10.2023 erstellt. Das Artikelbild ist ein Beispielbild, es wurde von DallE erstellt.

Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de