Warum Marx kein Bock aufs Gendern hätte

„Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ – ein markanter Ausdruck von Karl Marx, der den Kern seiner philosophischen Betrachtung trifft. Dieser Gedankengang betont, dass unsere materiellen Bedingungen, unser „Sein“, das Bewusstsein und die Art und Weise, wie wir die Welt interpretieren und verstehen, prägen. Vereinfacht gesagt, verweisen schlechte Begriffe auf schlechte Umstände. Wenn sich die Umstände verbessern, werden auch die Begriffe positiver. Wer behauptet, durch die Veränderung von Begrifflichkeiten die materiellen Bedingungen zu beeinflussen, führt die Menschen hinters Licht.

Die Debatte um das Gendern ist ein modernes Beispiel für die Diskrepanz zwischen Begriffen und materiellen Bedingungen. Gendern ändert genau gar nichts an wirklichen Geschlechterungleichheiten und Diskriminierungen, ganz im Gegenteil, Gendern verschleiert diese Probleme. Durch das Gendern wird die Aufmerksamkeit von den grundlegenden strukturellen Problemen abgelenkt und auf die Oberfläche der Sprache gelenkt.

Marx hätte argumentiert, dass die Verbesserung der Begriffe ohne eine grundlegende Veränderung der materiellen Bedingungen eine Art von Täuschung darstellt. Die realen Ungleichheiten und Diskriminierungen bleiben bestehen, werden aber durch „nettere“ Begriffe weniger sichtbar gemacht.

Ein Zitat von Friedrich Engels, einem engen Mitstreiter von Marx, kann diese Ansicht untermauern: „Die Sprache ist das unmittelbare Bewusstsein“, schrieb er in „Die deutsche Ideologie“ (http://www.mlwerke.de/me/me03/me03_017.htm#I_I_C). Hier wird die direkte Verbindung zwischen unserem Bewusstsein und der Sprache, die wir verwenden, hervorgehoben. Doch ohne eine Veränderung in der materiellen Realität, ist die Veränderung der Sprache allein unzureichend, um echte gesellschaftliche Fortschritte zu erzielen.

Ein weiteres Zitat von Marx ist hier relevant: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt darauf an, sie zu verändern“ (https://www.marxists.org/archive/marx/works/1845/theses/theses.htm). Hier ist ganz klar, dass die geschlechtergerechte Sprache zwar eine neue Interpretation der Geschlechterverhältnisse darstellt, aber ohne eine substantielle Veränderung der materiellen Bedingungen bleibt diese Interpretation oberflächlich und unvollständig.

Man mag lange darüber diskutieren können, ob sprachliche Veränderungen überhaupt jemals jemanden tatsächlich geholfen hat. Doch während politisch relevante Kräfte ihre Zeit zum Diskutieren über sprachliche Themen verwenden, werden die Armen noch ärmer. Dennoch ist die Diskussion notwendig. Denn Gendern nutzt nicht nur nichts, es schadet sogar. Eben weil es den Blick auf Ungerechtigkeiten trübt, werden diese von manchen nicht mehr als solche erkannt.

Die Debatte um Begrifflichkeiten beschränkt sich nicht nur auf das Gendern. Ähnliche Diskussionen finden auch bei anderen Begriffen statt. Beispielsweise hat die Veränderung der Begriffe „Ausländer“ in „Migranten“ oder „Putzfrau“ in „Raumpflegerin“ auch den Versuch unternommen, eine positivere Konnotation zu schaffen und Diskriminierung abzubauen. An den Umständen für die Betroffenen hat sich damit nichts zum Guten geändert.

Dieser Artikel wurde am 02.11.2023 erstellt. Das Bild zu diesem Artikel ist ein Beispielbild, es wurde von Dall-E erstellt.

Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de