Am gestrigen Tag, dem 09.11.2023, fand in Ruppichteroth erneut der bewegende Gedenkmarsch statt, um der Reichspogromnacht des Jahres 1938 zu gedenken. Als regelmäßiger Teilnehmer dieses Marsches fühle ich eine tiefe Verbundenheit mit diesem Akt des Erinnerns.
Als Atheist beteilige ich mich stets erst nach der kirchlichen Messe am Schweigemarsch. In diesem Jahr wurde dankenswerterweise nicht nur der Beginn, sondern auch das Ende der Messe kommuniziert, was den Anschluss an den Marsch erleichterte. Schade war, dass Informationen zum Schweigemarsch nur spärlich und schwer auffindbar waren – ein Aspekt, der für das kommende Jahr sicherlich verbessert werden kann.
Im Gegensatz zu früheren Jahren führt der Marsch seit zwei Jahren nicht mehr zum jüdischen Friedhof. Stattdessen nimmt er seinen Weg von der Kirche zu den Häusern, in denen einst Juden lebten, und endet an der ehemaligen Synagoge – ein Gebäude, das von außen nicht mehr als ehemalige Synagoge erkennbar ist. Früher endete der Marsch mit einem Gebet am jüdischen Friedhof, abwechselnd gehalten von einem evangelischen oder katholischen Geistlichen. Diese Praxis, die ich persönlich als problematisch empfand, gibt es aufgrund der neuen Route nicht mehr. Stattdessen wird nun an den früheren Wohnorten der Juden von ihrem Leben und meist tragischen Ende berichtet. Diese Art des Gedenkens scheint mir angemessener und ich danke allen Beteiligten für ihren Beitrag dazu.
In diesem Jahr jedoch stand der Marsch unter dem Eindruck der Ereignisse in Israel und Gaza. Mehrfach und zu Recht wurde der Menschen in Israel gedacht, jedoch fand das Leid der Palästinenser durch die überzogenen Reaktionen Israels keine Erwähnung. Es wäre doch nur ein Halbsatz gewesen. Hier zitiere ich die jüdische Schriftstellerin Deborah Feldmann, die treffend bemerkt: „Dabei ist die einzige Lehre aus dem Holocaust, sich für die Rechte aller Menschen gleichermaßen einzusetzen – und nicht zu schweigen, wie viele Deutsche es leider tun.„. Dieses Versäumnis lastet auf dem Gedenken und hinterlässt eine spürbare Leerstelle.
Die Wichtigkeit des Gedenkens an die Reichspogromnacht und andere historische Tragödien liegt nicht nur in der Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch im Lernen und Anwenden dieser Lehren in unserer Gegenwart und Zukunft. Jedes Jahr, wenn wir in Ruppichteroth zusammenkommen, um an die Schrecken zu erinnern, die einst hier geschahen, tun wir dies nicht nur, um die Opfer zu ehren, sondern auch, um uns selbst an unsere Verantwortung zu erinnern, solche Ungerechtigkeiten in der heutigen Welt zu verhindern.
In diesem Jahr, angesichts der Ereignisse in Israel und Gaza, wird diese Verantwortung umso deutlicher. Es reicht nicht aus, der Vergangenheit zu gedenken, ohne die gegenwärtigen Konflikte und Ungerechtigkeiten zu berücksichtigen. Echtes Gedenken verlangt von uns, dass wir uns aktiv für die Rechte und das Wohlergehen aller Menschen einsetzen, unabhängig von ihrer Nationalität oder ihrem Glauben. So wie Deborah Feldman es ausdrückt, ist es unsere Pflicht, uns für die Rechte aller Menschen einzusetzen und nicht in Schweigen zu verfallen.
Das heutige Gedenken sollte daher ein Aufruf zum Handeln sein, eine Erinnerung daran, dass wir aus der Geschichte lernen und unser Bestes tun müssen, um eine friedlichere und gerechtere Welt zu schaffen. Nur wenn wir die Lehren der Vergangenheit ernst nehmen und sie auf unsere heutige Welt anwenden, hat das Mahnen und Erinnern einen wahren Sinn.
Dieser Artikel wurde am 10.11.2023 erstellt. Das Artikelbild ist ein Beispielbild von NoName_13 auf Pixabay
Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de