Analyse der deutschen Haltung im Gaza-Konflikt: Zwischen Staatsräson und psychologischer Abwehr

Die Ereignisse in Gaza, wo die israelische Armee eine Militäroperation von verheerendem Ausmaß durchführt, stellen die Weltgemeinschaft vor eine Zerreißprobe. Unabhängig von der juristischen Einordnung als Massenmord oder Völkermord handelt es sich unzweifelhaft um ein Massenverbrechen, das sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielt. In dieser Situation fällt die Bundesrepublik Deutschland durch eine besonders vehemente und unbedingte Unterstützung der israelischen Regierung auf. Dies wirft die drängende Frage nach den wahren Motiven dieser Haltung auf.

Die offizielle Argumentation für diese bedingungslose Solidarität stützt sich primär auf die deutsche Staatsräson. Diese leitet sich aus der historischen Verantwortung für die monströsen Verbrechen des Nationalsozialismus, insbesondere des Holocaust an den europäischen Juden, ab. Die Sicherheit Israels als einziger jüdischer Staat wird zu einer fundamentalen Säule deutscher Außenpolitik erklärt.

Diese Begründung bekommt jedoch empfindliche Risse, wenn man sie auf Konsistenz prüft. Während des Zweiten Weltkriegs war die Sowjetunion ebenfalls Opfer eines Vernichtungskrieges durch Nazi-Deutschland, dem nach Schätzungen 27 bis 29 Millionen Sowjetbürger zum Opfer fielen. Diese historische Schuld hindert die heutige Bundesregierung jedoch nicht daran, im Ukraine-Krieg massiv Waffen gegen Russland zu liefern und eine Rhetorik zu unterstützen, die den Krieg nach Russland tragen will. Wäre die historische Verantwortung der alleinige Maßstab, müsste eine ähnliche Zurückhaltung auch gegenüber Russland gelten. Die Staatsräson wirkt hier also selektiv und vorgeschoben – eine Begründung für die Öffentlichkeit, deren tatsächliche Tragfähigkeit fraglich ist.

Ein zweites Argument ist die Einbindung Deutschlands in das transatlantische Bündnis. Als verlässlicher Partner der USA und Großbritanniens wolle man auch in schwierigen Situationen Stärke und Loyalität beweisen. Doch auch dieses Argument ist dünn. Andere wichtige NATO-Partner wie Frankreich oder Spanien positionieren sich deutlich kritischer gegenüber den Vorgängen in Gaza und sind bei Waffenlieferungen weitaus zurückhaltender. Die transatlantische Bündnistreue allein erklärt die deutsche Sonderrolle also nicht.

Ein ketzerischer Gedanke: Die Psychologie der Schuldrelativierung

Wenn die offiziellen Begründungen nicht ausreichen, muss es einen weiteren, möglicherweise tiefer liegenden Grund geben. Hier drängt sich ein zutiefst beunruhigender und ketzerischer Gedanke auf: Könnte es sein, dass im Unterbewusstsein mancher deutscher Verantwortungsträger ein psychologischer Mechanismus wirkt, der die eigene historische Schuld zu relativieren versucht?

Die Hypothese lautet: Wenn Israel, der Staat der Opfer des Holocaust, sich heute selbst eines Verbrechens schuldig macht, dessen Grausamkeit – wenn auch nicht dessen industrieller Maßstab – an die damaligen Taten erinnert, könnte dies die Einzigartigkeit der deutschen Schuld aufweichen. Die unausgesprochene Logik in den Köpfen könnte lauten: „Wenn das damalige Opfervolk heute zum Tätervolk wird, dann war das, was wir getan haben, vielleicht nicht so einzigartig monströs. Dann sind wir nicht die Einzigen. Dann kann es jedem passieren, selbst jenen, die moralisch unantastbar schienen.“

Ein solcher Gedankengang würde die erdrückende Last der deutschen Geschichte erträglicher machen. Die Singularität des Holocaust wäre gebrochen, die moralischen Kategorien von Gut und Böse, Täter und Opfer, würden verschwimmen. Die Unterstützung Israels, selbst bei offenkundigen Verbrechen, wäre dann nicht nur Ausdruck von Solidarität, sondern auch ein unbewusster Akt der psychologischen Selbstentlastung.

Mögliche psychologische Mechanismen

An dieser Stelle habe ich die KI (Gemini 2.5 Pro) gefragt, welche psychologischen Erklärungen es hier geben könnte, die Antwort:

Die Psychologie kennt mehrere Mechanismen, die ein solches Verhalten erklären könnten, selbst wenn es den Handelnden nicht bewusst ist:

  1. Kognitive Dissonanz: Es entsteht ein unerträglicher innerer Konflikt (Dissonanz) zwischen dem Glaubenssatz „Wir müssen den jüdischen Staat aufgrund unserer Geschichte schützen“ und der Wahrnehmung „Dieser Staat begeht furchtbare Gräueltaten“. Um diese Dissonanz aufzulösen, wird die Wahrnehmung der Gräueltaten verdrängt oder umgedeutet und die Unterstützung für Israel als alternativlos dargestellt.
  2. Schuldabwehr und Projektive Identifikation: Dies ist ein komplexer psychoanalytischer Mechanismus. Die eigene, unerträgliche historische Schuld wird abgewehrt. Indem man sich mit einem Israel identifiziert, das ebenfalls eine „Täterschaft“ ausübt, wird die eigene Schuld externalisiert und geteilt. Man projiziert quasi einen Teil der historischen Bürde auf den ehemaligen „reinen“ Opfer-Akteur. Dessen „Fall“ macht den eigenen Fall erträglicher.
  3. Moralische Relativierung: Dies ist der Kern der Hypothese. Das Beobachten eines moralischen Fehlverhaltens bei einer Gruppe, die bisher als unanfechtbares Opfer galt, kann zur Abwertung der eigenen historischen Verfehlung führen. Der Satz „Die anderen sind auch nicht besser“ ist ein klassischer Mechanismus zur Entlastung des eigenen Gewissens.

Fazit

Es muss betont werden, dass diese Hypothese spekulativ und für viele unvorstellbar, ja sogar anstößig klingen mag. Sie unterstellt keine bewusste, zynische Absicht, sondern fragt nach unbewussten Triebkräften, die politisches Handeln beeinflussen können.

Doch gerade weil der Gedanke so unbequem ist, ist es wichtig, ihn zu Ende zu denken. Sollte auch nur ein Funken Wahrheit in dieser Überlegung stecken, würde er eine erschreckende Dimension der deutschen Gaza-Politik offenlegen. Das Erkennen solcher psychologischen Verstrickungen wäre dann kein Akt der Anklage, sondern eine Notwendigkeit für echte historische Aufarbeitung – eine Aufarbeitung, die sich nicht in staatstragenden Formeln erschöpft, sondern sich den tiefen, dunklen Abgründen der eigenen Psyche stellt. Vielleicht ließe sich so verhindern, dass die Abwehr der alten Schuld zur Beihilfe an neuem Unrecht wird.

Dieser Artikel erschien zuerst am 14.07.2025. Das Beitragbild ist ein Beispielbild von Amrulqays Maarof auf Pixabay

Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de