Beißhemmung

Vor einigen Jahren war ich zu einem Abendessen eingeladen, an dem auch unser ehemaliger Landrat teilnahm. Am Morgen des Tages begann ich eine Pressemitteilung zu schreiben, in der ich eben diesen Landrat wegen seiner damaligen Weigerung, seine Aufsichtsratsbezüge an den Kreis abzugeben, scharf kritisieren wollte.

Ich unterbrach meine Arbeit, um sie am nächsten Tag fortzuführen, und ging zu dem Essen. Während des Essens saßen wir uns gegenüber und unterhielten uns, oberflächlich, aber sachlich freundlich. Als ich mich am nächsten Morgen hinsetzte, um die Arbeit an der Pressemitteilung wieder aufzunehmen, erwischte ich mich dabei, wie ich den bis dahin schon geschriebenen Text entschärfte. Ich hatte auf einmal eine Beißhemmung.

Diese persönliche Anekdote legt ein Phänomen offen, das sich in vielerlei Hinsicht auf das breite Feld der politischen Berichterstattung und Kommentierung auswirkt. Wenn schon ein solch profanes Erleben zu einer Beißhemmung führen kann, wie mag sich dann erst die Nähe unserer Hauptstadtjournalisten zu den Spitzenpolitikern auswirken? Die Integrität des Journalismus ist ein kostbares Gut, das durch die persönlichen Beziehungen zwischen Journalisten und Politikern auf eine harte Probe gestellt werden kann.

Die Frage der Nähe zwischen Medien und politischen Akteuren ist kein neues Thema. Schon seit Jahren wird diskutiert, inwiefern eine zu enge Verbindung die Objektivität und Unabhängigkeit der Berichterstattung beeinträchtigen kann. Es ist eine Gratwanderung: Einerseits benötigen Journalisten den Zugang zu Informationen, Kontakten und Quellen, um ihre Arbeit effektiv erledigen zu können. Andererseits besteht das Risiko, dass durch zu enge Verbindungen eine Art von Befangenheit entsteht, die das kritische Hinterfragen und die unabhängige Berichterstattung erschwert.

In vielen demokratischen Gesellschaften ist eine freie und unabhängige Presse eine der Säulen der Demokratie. Sie soll die Mächtigen kontrollieren, hinterfragen und Transparenz herstellen. Doch was passiert, wenn die Grenzen zwischen den Kontrolleuren und den Kontrollierten verwischen? Die Gefahr besteht, dass die notwendige Distanz verloren geht und damit auch die Fähigkeit, kritisch und unabhängig zu berichten.

Mein Erlebnis an jenem Abend und die anschließende Reflektion über meine eigene Reaktion beim Verfassen der Pressemitteilung hat mir die Tragweite dieses Dilemmas vor Augen geführt. Es ist eine menschliche Regung, die Beziehungen harmonisch und konfliktfrei gestalten zu wollen. Doch in der Welt der politischen Berichterstattung kann genau diese menschliche Neigung eine Gefahr für die essentielle Aufgabe der Medien darstellen.

In einer Kleinen Anfrage der AfD-Fraktion zur Mitnahme von Journalisten auf Dienstreisen der Bundesregierung erklärte die Bundesregierung, dass dies ein Angebot sei, um Medienvertretern gute Arbeitsbedingungen und die Ausübung ihrer Presse- und Rundfunkfreiheit zu ermöglichen. Die Mitreise sei Teil der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Regierung und diene einer umfassenden Berichterstattung über Auslandsreisen von Regierungsmitgliedern. Die Kosten für Flug und Übernachtung würden von den Journalisten selbst getragen, und es würden keine Honorare oder Aufwandsentschädigungen gezahlt (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw12-de-journalisten-957106).

Neben institutionellen Aspekten gibt es auch persönliche Verflechtungen zwischen Politik und Journalismus, die für Kontroversen sorgen. So werden die Journalisten Franca Lehfeldt und Louis Klamroth kritisiert, weil sie mit politischen Akteuren liiert sind: Lehfeldt ist mit Finanzminister Christian Lindner verheiratet und Klamroth mit der Klimaaktivistin Luisa Neubauer liiert. Eine Umfrage ergab, dass 67 Prozent der Deutschen glauben, dass die Glaubwürdigkeit leidet, wenn Journalisten Liebesbeziehungen mit politischen Akteuren pflegen. Die Mehrheit der Befragten sieht dies als Schaden für die Arbeitgeber der Journalisten, obwohl es auch Stimmen gibt, die argumentieren, dass dies kein Einfluss auf die Professionalität und Neutralität der journalistischen Arbeit haben muss (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw11-de-aktuelle-stunde-journalismus-938132).

Die Bundesregierung und nachgeordnete Bundesbehörden haben zwischen 2018 und dem Zeitpunkt der Anfrage Honorare in Höhe von insgesamt 1.471.828,47 Euro an Journalisten gezahlt, wie Anfang März 2023 bekannt wurde. Diese Zahlungen waren für Dienstleistungen wie Moderationen, Texterstellungen, Lektorate, Fortbildungen, Vorträge und ähnliche Veranstaltungen. Von dieser Summe gingen 875.231,92 Euro an Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Deutschen Welle, während 596.596,55 Euro an Journalisten privater Medien ausgeschüttet wurden. Nicht enthalten sind in dieser Aufstellung Honorare, die aus Gründen des Staatswohls vom Bundesnachrichtendienst an Journalisten gezahlt wurden, da diese Kooperationen als „besonders schützenswert“ eingestuft werden. Im April 2023 wurde berichtet, dass die gezahlten Beträge höher waren als zunächst bekannt, allein eine Journalistin soll mit ca. 50.000,- € vergütet worden sein.

Die Nähe zu politischen Akteuren ist ein Problem, vor allem wenn es darum geht, unangenehme Wahrheiten aufzudecken oder kritische Fragen zu stellen. Doch hier liegt auch eine wesentliche Verantwortung der Medien: Sie müssen diese Nähe reflektieren und sich immer wieder der Bedeutung ihrer unabhängigen Rolle bewusst sein. Die Balance zwischen Nähe und Distanz, zwischen Zugang und kritischer Distanz, ist entscheidend für die Glaubwürdigkeit und die Funktion des Journalismus in unserer Gesellschaft.

Dieser Artikel wurde am 09.11.2023 erstellt. Das Artikelbild ist ein Beispielbild, es wurde von Dall-E generiert.

Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de