Der unsichtbare Krieg: Warum Aufrüstung tötet – auch ohne einen einzigen Schuss

Massive Aufrüstung, selbst wenn sie nicht in einem Krieg mündet, kann bereits Schäden verursachen, die in ihrem menschlichen Tribut mit einem großen Krieg vergleichbar sind. Es geht um Tote, um verlorene Lebensjahre, um den Zerfall unserer Gesellschaft.

Die Lehren der Geschichte: Der Kollaps der Sowjetunion

Zum Ende ihres Bestehens gab die Sowjetunion nach Schätzungen westlicher Geheimdienste bis zu 38 % ihres Staatshaushaltes für Rüstung aus. Historiker sind sich heute weitgehend einig, dass diese erdrückende Last der wesentliche Faktor war, der zum Zusammenbruch des Staates führte. 

Andere Aspekte wie Korruption, mangelnde Meinungsfreiheit, die mangelnde Flexibilität der Planwirtschaft und allgemeine Unzufriedenheit spielten eine Rolle, doch die Rüstungsspirale war der Motor des Niedergangs.

Dieser Zusammenbruch war keine abstrakte politische Wende. Er war eine menschliche Katastrophe. Internationale Forschungen belegen, dass die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung nach dem Kollaps um sage und schreibe sieben Jahre sank.

Ein derart gravierender Einschnitt ist für uns kaum vorstellbar. Nahezu die gesamte Infrastruktur des täglichen Lebens brach zusammen: Gehälter wurden monatelang nicht gezahlt, die Lebensmittelversorgung kollabierte, und das Gesundheitssystem verdiente seinen Namen nicht mehr.

Der Preis des Zusammenbruchs: Ein Vergleich mit dem Iran-Irak-Krieg

Um zu begreifen, was ein Verlust von sieben Lebensjahren bedeutet, müssen wir einen Vergleich zu einem der brutalsten Kriege des 20. Jahrhunderts ziehen: dem Iran-Irak-Krieg (1980–1988). 

Für den Iran liegen Berechnungen vor, die zeigen, dass dort die Lebenserwartung infolge des Krieges um fünf Jahre zurückging.

Dieser Krieg forderte auf iranischer Seite Schätzungen zufolge hunderttausende Menschenleben durch direkte Kriegshandlungen. Es war ein Krieg mit Giftgas, Bombardierungen und Raketenangriffen. Die Opfer, die indirekt oder an den Spätfolgen starben, sind in vielen Statistiken nicht einmal erfasst.

Die schockierende Erkenntnis ist also: Der hauptsächlich durch Rüstung verursachte wirtschaftliche und soziale Kollaps der Sowjetunion forderte einen menschlichen Tribut, der in seiner statistischen Auswirkung auf die Lebenserwartung einen achtjährigen, blutigen Großkrieg übertrifft.

Ein Kurs, der in die Katastrophe führt: Die aktuelle Rüstungsspirale

Nun könnte man einwenden, die EU und insbesondere Deutschland seien wirtschaftlich und demokratisch weitaus stabiler als die damalige Sowjetunion. 

Doch dieser Einwand greift zu kurz.

Kürzlich wurde von NATO-Staaten beschlossen, in den nächsten Jahren die Rüstungsausgaben massiv auf 5% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu erhöhen. Für Deutschland befeutet dies Ausgaben in Höhe von 46,2 % des Bundeshaushaltes – ein Wert, der die 38 % der Sowjetunion, die zu deren Zusammenbruch führten, noch deutlich übersteigt.

Auch das Argument der stabileren Demokratie ist brüchig. Wir erleben, wie die Meinungsfreiheit in der EU massiv zurückgefahren wird – ein typisches Merkmal von Gesellschaften, die sich im Konfliktmodus befinden. Medien werden verboten, und deutsche Bürger werden ohne Gerichtsurteil sanktioniert. Dies sind autokratische Strukturen, die denen der späten Sowjetunion nacheifern und sie in manchen Punkten sogar im negativen Sinne übertreffen. Wenn Meinungsfreiheit Missstände nicht mehr aufdecken und korrigieren kann, verliert sie ihre Schutzfunktion.

Und unsere wirtschaftliche Basis? Auch sie ist weniger stabil, als es scheint. Die Berechnungsgrundlagen des BIP wurden im Zuge der EU-Schuldenkrise so geändert, dass seitdem auch Schätzungen zur Schattenwirtschaft (Schwarzarbeit, Prostitution, Drogenhandel etc.) einfließen. Dies bläht die Zahlen künstlich auf. Der Zollkrieg und die damit einhergehenden Risiken, die Sanktionen, mit der sich die EU u. a, von billiger Energie abgeschnitten hat, die massive Abhängigkeit von den USA – all das sind Risikofaktoren.

Gleichzeitig schwindet unsere industrielle Produktionsbasis. Wir schaffen immer mehr „Wert“ im Dienstleistungssektor – etwa, indem Kinderbetreuung und Altenpflege professionalisiert und damit zu bezahlten Posten im BIP werden –, aber keinen realen, industriellen Mehrwert. 

Darüber hinaus verfügt Deutschland weder über eigene Rohstoffe in nennenswerten Größenordnungen, noch über ausreichende Energieressourcen. Geopolitische Verwerfungen bedrohen Lieferketten, in diesem Punkt steht Deutschland heute sogar deutlich schlechter da als die Sowjetunion in ihrer Endphase.

Und die Planwirtschaft der Sowjetunion? An dieser Stelle ist festzustellen, dass weder die EU, noch Deutschland einen Plan für die Aufrüstung entwickelt haben, bevor die enormen Summen beschlossen wurden. Ob die Planlosigkeit wirklich besser ist als Planwirtschaft, wird sich zeigen.

Gleichzeitig vernachlässigen wir massiv die Bildung und damit die Grundlage für zukünftige Innovation und Produktivität.

Die Anatomie des Niedergangs: Was uns konkret erwartet

Wenn wir diesen Weg weitergehen, was haben wir zu erwarten?

  1. Das Ende der Rente: Auf dem Papier wird es sie weiter geben, doch durch ein immer höheres Eintrittsalter und sinkende Leistungen wird sie zu einem reinen Almosen. Menschen werden sich im Alter buchstäblich zu Tode arbeiten müssen.
  2. Kollaps der Gesundheitsversorgung: Schon heute warten wir Monate auf Facharzttermine. Dies wird sich dramatisch verschlimmern. Längere Wartezeiten, weitere Wege zu Ärzten und Krankenhäusern werden Menschenleben kosten. Für viele wird es medizinische Versorgung nur noch im Notfall geben. Schon eine Praxisgebühr in Höhe von 50,- € wäre für viele unerschwinglich. Damit ließen sich Milliarden einsparen, freilich auf Kosten der Volksgesundheit.
  3. Auch alle weiteren Sozialleistungen werden unter Druck geraten. Die meisten werden massiv zurück gefahren. Einige komplett eingestellt.
  4. Mangelernährung: Unsere Lebensmittelversorgung wird schlechter und teurer. Um die Grundversorgung zu sichern, wird auf die billigsten – und oft ungesündesten – Produkte zurückgegriffen.
  5. Weniger Sicherheit: Um zu sparen, werden Schutzvorschriften abgebaut – von der Medikamentenentwicklung bis zur Arbeitssicherheit. Die Zahl der Opfer wird steigen.
  6. Mehr Repression: Die wachsende Unzufriedenheit wird mit einem Ausbau des Repressionsapparates beantwortet, um die „Heimatfront“ geschlossen zu halten. Mehr Unterdrückung wird die Folge sein.
  7. Wohnungsnot und Verfall: Immer mehr Menschen werden sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten können oder in desolaten Zuständen leben müssen – mit Schimmel, ohne Heizung, Wasser oder Strom.
  8. Anstieg der Kriminalität: Verzweiflung wird Menschen dazu treiben, Regeln zu brechen.
  9. Selbstzerstörung durch Sanktionen: Die bereits bestehenden Sanktionen, die sich offiziell gegen Russland richten, sind in Wahrheit Akte der Selbstkasteiung. Sie verteuern Energie, zerstören unsere Industrie und verursachen schon jetzt massive Schäden.

Der eingeschlagene Weg ist ein Weg, der immense menschliche Opfer fordern wird – selbst dann, wenn es niemals zu einem heißen Krieg mit Russland kommt.

Die einzige Alternative: Ein radikaler Kurswechsel hin zu Recht und Vertrauen

Gibt es einen Ausweg? Ja, aber er erfordert Mut und Ehrlichkeit.

Schritt 1: Das Narrativ hinterfragen. 

Wir müssen kritisch prüfen, ob die Geschichten über die „bösen Russen“ einer Überprüfung standhalten. Inzwischen wissen wir, dass viele Narrative, die zur Rechtfertigung der Aufrüstung und der Einschränkung unserer Freiheiten dienten, falsch waren (z. B. Russiagate, die Behauptung, die Geschichte um Hunter Bidens Laptop sei eine Fake, der angeblich friedliche Umsturz in der Ukraine (Maidan) usw. Wir müssen anerkennen, dass es eine russische Perspektive gibt, aus der sich die Lage diametral anders darstellt. Wer bedroht hier wen? Wir müssen anerkennen, dass man diese Frage, je nach Standpunkt, unterschiedlich beantworten kann.

Schritt 2: Die eigene Verantwortung anerkennen. 

Der Westen, und damit auch wir, müssen sich an die eigene Nase fassen. Wir sind es, die Abkommen gekündigt oder unterlaufen haben (Minsk 1 & 2 waren laut Aussagen von Merkel und Hollande nur ein Mittel, um Zeit für die Aufrüstung der Ukraine zu gewinnen). Wir sind es, die gewaltsame Umstürze orchestriert haben. Der Westen hält den Rekord an völkerrechtswidrigen Interventionen. Wir müssen zuerst vor unserer eigenen Haustür kehren.

Schritt 3: Die Grundlage für Vertrauen schaffen – durch Recht und Gerechtigkeit. 

Vertrauen kann nicht mit denjenigen wiederhergestellt werden, die es systematisch zerstört haben. 

Wer soll mit uns noch verhandeln, wenn wir uns an keine Abmachungen halten? 

Die einzige wirkliche Alternative zur Aufrüstung ist daher ein radikaler Schritt: Diejenigen in den Machtpositionen, die uns in diese Lage gebracht und dabei massenhaft gegen geltendes Recht – einschließlich der im deutschen Gesetz verankerten Völkerrechtskonventionen – verstoßen haben, müssen aus ihren Ämtern entfernt und vor Gericht gestellt werden.

Es ist eine völkerrechtliche Pflicht (nicht nur) Deutschlands, Völkermord und Kriege zu verhindern. Dieser Pflicht ist man nicht nachgekommen. Dies muss in fairen, öffentlichen Verfahren bewertet werden. Solche Verfahren sind keine Rache. Sie sind die unumgängliche Grundlage für neues Vertrauen, und dieses Vertrauen ist die einzige Basis für ein friedliches Miteinander in Europa. Es geht nicht um Vergeltung. Es geht um unser aller Zukunft.

Dieser Artikel erschien erstmals am 10.08.2025. Das Beitragbild ist ein Beispielbild von Frantisek Krejci auf Pixabay.

Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de