Ist die Welt wirklich komplizierter geworden?

Es ist eine von den Aussagen, die gar nicht mehr hinterfragt werden: „Die Welt ist komplizierter geworden.“ Doch stimmt das überhaupt? Ist die Welt tatsächlich komplizierter geworden?

Moderne Technik wird oft als Beweis für zunehmende Komplexität angeführt. Doch in ihrer Funktion dient Technik primär dazu, unser Leben zu erleichtern. Ein Auto zu starten ist zweifellos einfacher, als ohne Hilfsmittel Feuer zu machen. Fortschritte in Technik und Wissenschaft haben viele alltägliche Probleme gelöst, wodurch das Leben in vielen Bereichen einfacher geworden ist.

Die eigentliche Komplexität lag in der Entwicklung dieser Technik – nicht in ihrer Anwendung. Für uns ist das Wissen, auf dem heutige Technik basiert, inzwischen selbstverständlich und leicht zugänglich.

Das komplizierteste Element des Lebens ist der Mensch selbst. Unsere Psyche, unsere sozialen Interaktionen und unser Miteinander waren schon immer zentrale Herausforderungen. Daran hat sich seit ewigen Zeiten nichts geändert. Es gibt keine Belege dafür, dass die Psyche des Menschen heute komplexer ist als früher.

Ein Blick auf die Lebenserwartung verdeutlicht, dass das Überleben früher deutlich schwieriger war. Krankheiten, Hunger und fehlende medizinische Versorgung führten zu hohen Sterberaten, besonders bei Kindern. Dies beeinflusste nicht nur die Statistik, sondern auch die Handlungen der Menschen: Es lag im ureigenen Interesse jedes Lebewesens, den Nachwuchs zu schützen und das Überleben der Gemeinschaft zu sichern.

Diese Herausforderung verlangte immense Fertigkeiten. Feuer machen, Nahrung beschaffen, sich gegen wilde Tiere schützen – all das erforderte Wissen und Anstrengung. Heute ersetzen Technologien und Wissen viele dieser Aufgaben, wodurch das Überleben einfacher geworden ist.

Die damaligen Herausforderungen zeigen: Es war nicht nur das Ziel des Einzelnen, zu überleben, sondern auch das seiner Gemeinschaft, was die gesellschaftliche Komplexität deutlich erhöhte.

Was wir heute als kompliziert empfinden, basiert auf einem Wissensfundament, das über Jahrtausende hinweg aufgebaut wurde. Für unsere Vorfahren war es eine immense Leistung, dieses Wissen zu schaffen. Für uns ist es dagegen Alltag, dieses Wissen zu nutzen.

Während früher praktische Fertigkeiten lebensnotwendig waren, haben wir heute spezialisierte Berufe und globalen Zugang zu Wissen. Das macht unser Leben anders – aber nicht unbedingt komplizierter. Vieles, was wir als komplex wahrnehmen, ist lediglich ein Resultat spezialisierter Systeme, die uns aber oft entlasten, statt zu belasten.

Wenn Politiker behaupten, die Welt sei komplizierter geworden, steckt oft eine unterschwellige Botschaft dahinter: „Ihr versteht das nicht, weil ihr zu dumm seid.“ Solche Aussagen dienen nicht der Analyse, sondern eher der Rechtfertigung vermeintlich „überlegener“ Politik. Doch das Leben sollte nicht unnötig kompliziert gemacht werden – weder durch Technik noch durch Politik.

Ist die Welt wirklich komplizierter geworden? Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Technik hat viele Herausforderungen des Alltags vereinfacht. Die grundlegenden Herausforderungen des Lebens – wie der Umgang mit anderen Menschen und das Streben nach einem erfüllten Leben – sind jedoch konstant geblieben.

Komplexität ist relativ – und oft ist es nicht die Welt, die kompliziert ist, sondern die Art, wie wir sie betrachten. Aber wenn jemand seine Aussagen mit der zunehmenden Komplexität der Welt begründet, ist Vorsicht angesagt.

Dieser Artikel erschien zuerst am 10.08.2025. Das Artikelbild ist ein Beispielbild von Gerd Altmann auf Pixabay

Quelle: Progressive Stimme - Argumente, Fakten, Quellen - https://progressivestimme.de